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Landrat gegen die Pressefreiheit - Abgründe im Burgenlandkreis


Am 15.10.2024 war die zweite Sitzung des Kreisausschusses. Eine öffentliche Versammlung, auch Bürger dürfen dort Fragen stellen. Und ich dachte mir: Hey, das könnte doch mal für die Bürgerstimme gefilmt werden. Denkste!



Ich kam ca. 16:45 Uhr im Raum 1.139 im Haus 1 des Landratsamtes an. Zwei Personen waren bereits im Raum. Ich sagte, dass ich für die Bürgerstimme heute die Sitzung filmen möchte. Einwände gab es keine.

Ich baute die Kameras hinten im Bereich für die Öffentlichkeit auf und wartete. Der Raum füllte sich langsam mit den Mitgliedern des Ausschusses. Christian Thieme (Oberbürgermeister der Stadt Zeitz) und Jörg Freiwald begrüßten mich. Wir sind uns in den vergangenen Jahren schon ein paar Mal über den Weg gelaufen.

Auch der Landrat Götz Ulrich war eingetroffen und setzte sich ins Präsidium. Er blätterte in seinen Unterlagen. Der Beginn der Sitzung war für 17 Uhr terminiert. Es war nun ca. 17:07 Uhr. Der Landrat eröffnete die Sitzung. Ich schaltete die Kameras auf Aufnahme.

Die Themen und Dokumente zur Sitzung finden Sie unter https://www.ratsinfo-online.de/blk-bi/to010.asp?SILFDNR=2050

Und ab nun taten sich Abgründe auf

Landrat Ulrich forderte mich auf, die Kameras auszuschalten und zur Seite zu drehen. Er fragte, ob ich die Sitzung filmen wollte. Ich sagte ja, es ist eine öffentliche Sitzung. Ulrich erklärte, dass ich das nicht dürfte. Laut Kommunalverfassung müsse eine Bild- und Tonaufzeichnung solcher Sitzungen vorher angemeldet werden. Ich erklärte, dass ich dies hiermit nachreiche. Er meinte, da die Sitzung nun schon eröffnet worden war, wäre ein Nachreichen der Anmeldung nicht möglich.

Anmerkung: Ich hatte mal eine Gerichtsverhandlung vor dem Verwaltungsgericht, bei der die Beklagte selbst nicht anwesend war, sondern nur der Justiziar vom Landesschulamt, der die Beklagte vertrat. Er hatte aber keine Vertretungsvollmacht mit. Der Richter meinte, diese könne nachgereicht werden. Das erfolgte auch ca. zwei Wochen später, unterschrieben und datiert auf ein Datum nach der Gerichtsverhandlung. Formell juristisch war die Beklagte bei der Verhandlung also nicht anwesend. Der Richter störte sich daran nicht.

Aber Landrat Götz Ulrich sah bei der Sitzung genau darin das Problem. Die Sitzung hatte er eröffnet und nun, nach seiner Eröffnung könne keine Anmeldung nachgereicht werden.

Ich fragte, wie denn das mit der Pressefreiheit ist. Ulrich meinte, dass das ein sehr hohes Gut sei, aber er könne sich nicht über die Regeln in der Kommunalverfassung und den Kreistagsbeschluss hinwegsetzen. Ich fragte, wo denn steht, dass das Nachreichen einer Anmeldung nicht möglich sei. Er las noch einmal den Passus vor, wonach eine Anmeldung vorher erfolgen müsse. Ein Nachreichen war demnach allerdings nicht ausgeschlossen. Er sei aber derjenige, der die Sitzung leitet und dafür Sorge tragen müsse, dass die Durchführung nicht gestört werde. Ich könne dies auch juristisch prüfen lassen. Mein Einwand, dass die Sitzung im Falle einer juristischen Prüfung im Nachhinein durch ist, bestätigte er. Ihm war also klar, dass eine juristische Klärung im Nachhinein an seiner Untersagung der Aufzeichnung der Sitzung nichts ändert.

Er behauptete, dass die Kameras bereits vor der Eröffnung der Sitzung aufgezeichnet hätten. Dies wies ich zurück und schlug vor, dass ich ihm das beweise. Darauf ging er nicht weiter ein.

Ulrich erklärte, eine Anmeldung im Vorfeld sei wichtig, um Ausschussmitglieder darüber informieren zu können, dass gefilmt wird, damit sich diese laut Landrat dazu entscheiden könnten, nicht an der Sitzung teilzunehmen. Mir stellt sich beim Schreiben dieser Zeilen die Frage, ob dies tatsächlich ein Grund für Mitglieder solcher Ausschüsse sein darf, die letztlich von den Bürgern gewählt wurden, solchen Sitzungen fernbleiben zu dürfen. Ich habe da meine Zweifel, zumal damit der Transparenzwillen solcher Mitglieder in Frage gestellt ist.

Ich fragte in die Runde der Ausschussmitglieder, wer denn nicht möchte, dass gefilmt wird. Niemand meldete sich. Eine Stimme grummelte, dass man jetzt zu diesem Thema als Ausschuss keine Abstimmung machen würde. Ich fragte erneut, gerichtet nicht an den Ausschuss, sondern an jedes Mitglied als Person. Es meldete sich abermals niemand. Es war sprichwörtliches Schweigen im Walde. Einwände gab es also nicht – zumindest nicht von den Ausschussmitgliedern.

Jörg Riemer (einigen sicherlich bekannt als Schulleiter der Berufsbildenden Schulen Burgenlandkreis) sprang Landrat Ulrich bei und meinte, dass er sich aufgrund der Diskussion gestört fühle. Ich erwiderte, dass nicht ich diese Diskussion begonnen hatte, sondern der Landrat. Aus meiner Sicht hätte es diese Diskussion gar nicht geben müssen. Ich hätte gefilmt und keinen Ton gesagt.

Es wurde darauf gedrängt, dass die Sitzung nun anfangen müsse. Okay, ich will ja nicht stören, packte die Kameras ein und lauschte dem weiteren Verlauf der Sitzung.

Wie ist das Verhalten des Landrates zu werten?

Ich entnehme dem, dass der Landrat die Aufzeichnung verhindern wollte. Er hatte offensichtlich schon vor seiner Eröffnung der Sitzung die Kameras gesehen, denn das war sein erstes Thema nach der Eröffnung. Da er meinte, dass die Kameras schon vor Eröffnung der Sitzung aufgezeichnet hätten, kann er kaum abstreiten, die Kameras nicht gesehen zu haben.

Er hätte, wenn er dies gewollt hätte, mich proaktiv vor der Sitzung ansprechen können, mich darauf hinweisen können, dass eine Aufzeichnung vorher anzumelden sei. Ich hätte dies in diesem Moment anmelden können, zumal nichts geschrieben steht, wie lange vorher eine Anmeldung zu erfolgen hat. Statt in Papieren zu blättern – darunter wahrscheinlich die Kommunalverfassung und Kreistagsordnung, aus denen er zitierte – hätte er also den Weg für die Aufzeichnung vollkommen unkompliziert und unbürokratisch frei machen können - wegen der Demokratie, der Transparenz gegenüber den Bürgern und Wählern usw. Aber das wollte Landrat Ulrich offensichtlich nicht. Die Ausschussmitglieder hatten keine Einwände. Seine Untersagung war folglich unbegründet.

Hat man ein Problem mit der Öffentlichkeit bei solchen Sitzungen?

Nun, wenn man sich anschaut, wie diese verlief, könnte das durchaus der Grund sein. Es stellte sich heraus, dass die Mitglieder über Dinge abstimmten – auch wenn vieles davon nur Vorschläge für die Abstimmung im Kreistag waren – von denen sie keine wirkliche Kenntnis hatten.

So zum Beispiel die beiden Punkte "Vorschlagsliste ehrenamtliche Richter in Landwirtschaftssachen am Amtsgericht Naumburg und am OLG Naumburg" und "Vorschlagsliste für die Wahl der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter am Verwaltungsgericht Halle". Die Mitglieder des Ausschusses sollten über diese Namenslisten abstimmen, damit im weiteren Verlauf die Gerichte daraus die ehrenamtlichen Richter aussuchen. Wer diese Personen waren, wusste von den Ausschussmitgliedern keiner. Auch Landrat Ulrich erklärte, er kenne diese Personen nicht. Aber der Ausschuss müsse diese Listen eben beschließen.

Ein anderer Punkt war das "Bildungsleitbild des Burgenlandkreises". Hier monierte ein Mitglied des Ausschusses, dass die Inhalte dieses Leitbildes nicht mit jenen besprochen und erarbeitet wurden, die es betrifft – die Lehrkräfte. Außerdem sehen dies viele Lehrkräfte anders, als es im Leitbild geschrieben steht. Es gab dazu einen längeren Austausch. Das Leitbild wurde beschlossen.

Ein kleiner Überfall war das Thema "Genehmigung von außerplanmäßigen Auszahlungen für die Beschaffung von Software für das Straßenverkehrsamt". Die Firma, die bisher diese Software zur Verfügung gestellt hatte, wurde wohl von einer anderen Firma aufgekauft. Deswegen müsse von der Firma, die die vorherige Firma aufgekauft hatte, die oder eine neue Software angeschafft werden. Das kostet nur ca. 220.000 Euro und wurde durchgewunken, weil es wohl eilt.

Störung der Sitzung

Ach, noch einmal hinsichtlich Störung der Sitzung. Besagter Jörg Riemer wollte oder musste sich wohl einer Abstimmung entziehen und spazierte deswegen durch den Raum, um sich auf die Plätze der Zuschauer zu setzen. Er kam dabei zwangsweise am Landrat vorbei - der Raum ist ziemlich eng - und murmelte ihm etwas zu. Nach der Abstimmung spazierte er wieder zurück. Das war aus seiner und Sicht des Landrates wahrscheinlich nicht störend.

Landrat Ulrich nahm während der Sitzung ein Telefonat auf seinem Handy an, wenn auch nur kurz, weil er dem Anrufer erklärte, dass er in einer Sitzung ist. Das war demnach auch keine Störung.

Hätte das Filmen gestört?

Die Kameras laufen weder mit Dieselaggregaten noch mit Dampfmaschinenantrieb. Das Filmen hätte also nicht gestört, es sei denn, man möchte nicht, dass die Öffentlichkeit sehen kann, wie das so läuft in solchen Ausschüssen.

Ergänzung: Das bedenkliche Abstimmungsverfahren des Landrates

Das Abstimmungsverfahren verlief bei dieser Sitzung so, dass der Landrat fragte, ob es Gegenstimmen gibt, und danach, ob es Enthaltungen gibt. Gab es hierbei keine oder nur wenige Handzeichen, erklärte der Landrat den jeweiligen Beschluss für beschlossen. Er fragte also nicht nach der Zustimmung, es gab keine Handzeichen zur Zustimmung. Der Landrat stellte die Zustimmung einfach so in den Raum. Doch im Raum steht sofort die Frage, ob die Beschlüsse, um die es am 15.10.2024 ging, tatsächlich als beschlossen gelten können, wenn niemand der Ausschussmitglieder seine Zustimmung gab. Es sei denn, das Credo des Landrates ist: Wer schweigt, stimmt zu.

Der Landrat, der sich zwecks Verhinderung der Videoaufzeichnung in die Kommunalverfassung verbissen hatte, weil sich seiner Darstellung nach an Regeln gehalten werden müsse, über die er sich als Leiter der Sitzung nicht hinwegsetzen könne, schludert hinsichtlich der Abstimmung etwas hin, was wohl kaum als regelkonform bezeichnet werden kann.

Bedenklich ist ebenfalls, dass sich die Ausschussmitglieder an dieser Art und Weise der Abstimmung nicht störten. Läuft das immer so ab? Neben dem Oberbürgermeister von Zeitz war auch der Kreistagsvorsitzende und Bürgermeister von Hohenmölsen, Andy Haugk, Ausschussmitglied. Man sollte meinen, dass eben jene genau wissen, wie Abstimmungsverfahren tatsächlich abzulaufen haben.


Bevor jetzt wieder die üblichen Verdächtigen aus den Reihen der Kasper-Fröschileinchen zu Lobgesängen auf den Landrat oder sinnfreien Kommentaren ansetzen:
Ob eine Demokratie wirklich funktioniert, ob gewählte Politiker wirklich ein Interesse an Demokratie, Bürgernähe, Transparenz usw. haben, zeigt sich genau in solchen und anderen Situationen. Und bevor der eine oder andere Kasperfrosch jetzt die übliche Häme ausschüttet, möge er sich fragen, ob er Politiker, die so agieren, wirklich gut finden kann, weil sich deren Handeln letztlich auch gegen die Kasper-Fröschileinchen richtet und wenn ja, wie es um das eigene Demokratieverständnis bestellt ist.

Fest steht für mich: Pressefreiheit und der Wille zu Transparenz gegenüber dem Wähler ist das nicht!

Aus meiner Sicht ist ein solches Agieren des Landrates eigentlich Kindergarten und eines Landrates nicht würdig. Er offenbart dadurch seine Geringschätzung gegenüber den Bürgern, den Medien, dem Grundgesetz usw. Müsste eventuell die Kommunalaufsicht mal schauen, ob der Landrat mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes steht? Ich frage für eine Freundin.

Verfasser: Michael Thurm  |  15.10.2024

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