Gedenkveranstaltung zum Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt, Rüdiger Erbens Blick bis zum Tellerrand und keinerlei Selbstkritik der politischen Verantwortlichen Am 20. Dezember 2024 raste Taleb al-Abdulmohsen mit seinem Fahrzeug in den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Sechs Menschen starben, Hunderte wurden verletzt. Ein Jahr später erinnert Rüdiger Erben, SPD-Abgeordneter und Obmann seiner Fraktion im Landtag-Untersuchungsausschuss, in einem nüchternen Facebook-Post an die Tat.
Rüdiger Erben (SPD) zieht Bilanz aus 24 Sitzungen und über hundert vernommenen Zeugen: Bis auf zwei Sachbearbeiter hätten alle „alles richtig gemacht oder sowieso von nichts gewusst“. Der Rettungseinsatz sei hervorragend gelaufen. Die Fragen nach Verantwortung seien ins Leere gelaufen, Zuständigkeiten wurden hin- und hergeschoben, politische Konsequenzen blieben aus.
Erbens Post ist sachlich, ja fast beiläufig. Doch genau darin liegt das Problem: Er geht nicht weiter. Er hinterfragt weder die Landesregierung, noch die Bundes- oder EU-Politik, die Rahmenbedingungen schaffen, unter denen Sicherheitsrisiken überhaupt entstehen. Er schweigt auch zu seiner eigenen Partei, der SPD, die über Jahre politische Entscheidungen mitgetragen hat, die Migration, Sicherheitsplanung und Warnsysteme beeinflussen.
Ebenso fehlt die Analyse der globalen Dimension: Fluchtursachen entstehen nicht zufällig oder durch abstrakte Strukturen, sondern durch konkrete Entscheidungen von Regierungen. Militärinterventionen, wirtschaftliche Abhängigkeiten, geopolitische Interessen – sie alle erzeugen die Bedingungen, unter denen Menschen gezwungen werden zu fliehen. Migration ist kein Naturereignis, sondern ein politisches Produkt. Wer dies nicht thematisiert, übersieht die Wurzeln der Sicherheitsfragen, die auch den Magdeburger Anschlag begünstigt haben.
Erben hat die Leerstellen des Untersuchungsausschusses gesehen – das formale Versagen, die ausgebliebene Verantwortung. Aber er benennt nicht die politischen Entscheidungen, die diese Strukturen überhaupt erst möglich gemacht haben. Sein Post bleibt Beobachtung, nicht Analyse. Er schweigt über das, was politisch wirklich versagt hat.
Ein Gedenktag ohne Ursachenanalyse bleibt Symbolpolitik. Ein Untersuchungsausschuss ohne politische Selbstkritik ist Verwaltung. Und ein Post, der nur operative Abläufe beschreibt, ohne den Finger auf die politischen Fehlentscheidungen zu legen – auf Landes-, Bundes- oder EU-Ebene, selbst innerhalb der eigenen Partei – ist mehr Notiz als Aufarbeitung. Rüdiger Erben hat die Leerstellen gesehen, aber den Blick über den Tellerrand nicht zu Ende gedacht.
Selbstinszenierung der Politik in Magdeburg
Das Gedenken der Opfer in Magdeburg wurde am 20.12.2025 mit großem Tamtam zelebriert. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und viele weitere Politprominenz übten sich in Trauer. Doch es gab offenbar einige Magdeburger, die nicht nur bis zum Tellerrand schauten und den Gang der Politiker zum Dom mit Worten wie „Schämt euch!“ und „Geht weiter! Wir wollen euch hier nicht!“ kommentierten.
Das Video startet an der betreffenden Stelle:
So saßen bei der Gednekveranstaltung im Magdeburger Dom genau jene in der ersten Reihe, die für die eigentlichen Ursachen mindestens mitverantwortlich sind. Sie wurden von Magdeburgs Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos) begrüßt. Doch auch sie blickte in ihrer Rede nur bis zum Tellerand.
Die Rede von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff bringt die bekannte Symbolpolitik bestens zum Ausdruck. Verantwortlichkeiten benennt auch er nicht.
Sehr geehrte Betroffene und Angehörige der Opfer des Anschlags, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, sehr geehrte Damen und Herren,
es ist nun genau ein Jahr her, dass sich in unserer Landeshauptstadt das Unfassbare ereignet hat. Menschen, die in den Tagen vor dem Fest gemeinsam Freude und Entspannung auf dem Weihnachtsmarkt suchten, wurden Opfer einer schrecklichen Straftat.
Der 20. Dezember 2024 hat einen Schatten auf diese Stadt und auf unser ganzes Land gelegt. Ich war noch am selben Abend hier, und auch mir haben sich die furchtbaren Bilder fest eingebrannt. Die Wunden sind bis heute nicht verheilt. Der Schrecken ist noch allgegenwärtig. Wir können nicht vergessen. Das ist richtig, und das schulden wir den Opfern auch. Sie sollen niemals in Vergessenheit geraten. Dazu trägt auch die bereits laufende Hauptverhandlung bei.
Heute sind unsere Gedanken bei Ihnen. Der Täter hat sechs Menschen das Leben genommen und Hunderte verletzt, aber er konnte uns nicht brechen. Beeindruckend war die schnelle, professionelle Hilfe durch die Rettungskräfte und die vielen freiwilligen Helfer unmittelbar nach der Tat. Unvergesslich ist auch die große Welle der Solidarität aller, die Hilfe und Unterstützung gegeben haben. Dafür sei auch heute noch einmal ganz herzlich gedankt.
Die feige Tat hat diese Stadt und dieses Land verändert. Wer Angehörige verloren hat, wer körperlich und seelisch verletzt wurde, wer das schreckliche Geschehen miterleben musste, ist für immer von diesem Tag geprägt. Der Verlust eines geliebten Menschen ist eine der schlimmsten Erfahrungen überhaupt. Wir haben Verletzlichkeit erfahren, aber wir dürfen nicht Verletzte bleiben.
Darum ist es ein wichtiges Zeichen, dass der Weihnachtsmarkt in Magdeburg nur wenige Meter von hier auch in diesem Jahr stattfindet. Wir kapitulieren nicht vor dem Terror. Wir leben unser Leben und unsere Traditionen. Auch das ist eine Botschaft, die von diesem Tag ausgeht.
Staatlicherseits verstärken wir unsere Anstrengungen, solche Anschläge schon im Vorfeld zu verhindern. Doch absolute Sicherheit wird es nie geben können. Wir dürfen uns unsere freiheitliche Art zu leben nicht zerstören lassen. Unser Miteinander beruht auf gegenseitigem Vertrauen, auf der Achtung vor der unantastbaren Menschenwürde und auf Nächstenliebe.
Wir ziehen Attentäter mit aller Härte des Gesetzes zur Verantwortung, aber wir dürfen unsere Freiheit und Würde nicht preisgeben, indem wir Hass in unseren Herzen tragen. Das unterscheidet uns von denen, die Terror verbreiten. Und das sollten wir immer beherzigen – nicht nur hier und heute, sondern für alle Zeiten.
Das Video startet an der betreffenden Stelle:
Der Rede von Bundeskanzler Friedrich Merz ist ebenfalls nichts zu entnehmen, was auch nur ansatzweise Selbstkritik zum Ausdruck bringt.
Sehr geehrte Betroffene, sehr geehrte Angehörige der Opfer des Anschlags, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Reiner Haseloff, sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Simone Borris, liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Gedenkveranstaltung,
es gibt Tage, an denen will die Dunkelheit nicht weichen. Es sind Tage, an denen die Trauer so groß ist, dass sie fast allen Raum einnimmt.
Viele von Ihnen sitzen heute hier mit einem Schmerz im Herzen, der mit Worten kaum zu beschreiben ist. Viele Menschen in dieser Stadt, in diesem Land Sachsen-Anhalt, ja in ganz Deutschland, tragen auch und besonders heute schwer an der Trauer. Vor genau einem Jahr, am 20. Dezember 2024, um kurz nach 19 Uhr, erreichten uns die Nachrichten von der schrecklichen Gewalttat, die hier in Magdeburg geschah. Die meisten von uns, Menschen überall in unserem Land, waren vor Entsetzen erstarrt. Was Festtage sein sollten – die letzten Adventstage und dann Weihnachten – wurde innerhalb weniger Sekunden tief überschattet von Schrecken und von der großen Anteilnahme, die die Menschen empfanden.
Die letzten Adventstage und Weihnachten in diesem Jahr sind überschattet. Wir haben die herzerreißenden Bilder des Anschlagortes noch vor unserem inneren Auge. Wir hören die Berichte der Opfer und der Augenzeugen, das Weinen der Angehörigen. Meine Damen und Herren, wir sind ein Land, das nichts höher stellt als den Menschen, jeden einzelnen, als das Leben eines Menschen. Nach unserer festen Überzeugung – und viele mögen sagen nach unserem christlichen Glauben – ist jeder Mensch einzigartig geschaffen. Jeder Mensch ist berufen zu einem Leben, in dem er sich entfalten kann, in seiner wunderbaren Einzigartigkeit.
Das Verbrechen, das in dieser Stadt am 20. Dezember vor genau einem Jahr geschehen ist, hat Leben zerstört. Es hat das Leben von Familien aus der Bahn geworfen und sechs Leben auf das Grausamste, viel zu früh, beendet. Familie, Freunde, Klassenkameradinnen und Kameraden, Kolleginnen und Kollegen können erzählen, worin die Einzigartigkeit von jedem und jeder dieser sechs Menschen lag, wo sie unersetzbar sind und wo sie für immer fehlen werden. So trauern wir heute gemeinsam. Wir betrauern jedes einzelne Leben.
Wir denken an alle, die schwer tragen an der körperlichen und seelischen Belastung, die dieses Verbrechen hinterlassen hat. Wir denken an die Verletzten, die viele Tage und Wochen um ihr Leben und ihre Gesundheit kämpfen mussten und dies zum Teil bis heute tun. Wir denken an die Angehörigen, aber auch an die Ersthelferinnen und Ersthelfer, die das Grauen selbst miterlebt haben. Ich möchte hoffen, dass für uns alle Trost und Kraft darin liegt, heute gemeinsam zu erinnern und zu trauern, füreinander da zu sein, für die Opfer dieser Schreckenstat da zu sein, aber auch Wut und Zorn miteinander auszuhalten. Auch Wut und Zorn dürfen sein angesichts eines so grausamen Verbrechens.
Ich möchte im Namen der Bundesregierung, aber auch sehr persönlich, allen Betroffenen dieser Tat sagen: Wir stehen an Ihrer Seite, heute und in Zukunft. Und wenn es daran fehlen sollte, sind wir auch heute noch aufgerufen, dies zu korrigieren und zu verbessern. Ich möchte den vielen Menschen danken, die an diesem 20. Dezember 2024 zu Heldinnen und Helden geworden sind. Auch das war dieser Tag: ein Tag der großen Mitmenschlichkeit. Ohne zu zögern und teilweise unter Einsatz persönlicher Gefahr haben Menschen sich der Verletzten angenommen, geholfen, getröstet, organisiert und zugehört. Sie haben die Entscheidung getroffen, der Gewalt nicht das letzte Wort zu geben – eine Entscheidung, die wir alle jeden Tag treffen können.
Ich danke den Einsatzkräften der Polizei, der Feuerwehr und der Rettungsdienste, den Notfall-Seelsorgerinnen und -Seelsorgern, den Ärzten und dem Pflegepersonal in den Krankenhäusern, aber auch den vielen Ehrenamtlichen. Sie haben an diesen Tagen oft Übermenschliches geleistet.
Liebe Familien, liebe Angehörige, liebe Mittrauende, liebe Bürgerinnen und Bürger der Stadt Magdeburg und des Landes Sachsen-Anhalt, wir brauchen heute, wir brauchen in dieser Welt immer wieder Trost und Zuspruch. „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden“, so heißt es in der Bibel. Ich wünsche Ihnen allen, ich wünsche uns allen, dass jede und jeder persönlich Quellen des Trostes findet – im Glauben, in Erinnerungen, in Erzählungen und in der Umarmung von Menschen, die ihnen nahestehen.
Ich wünsche mir, dass wir zugleich als Land fortfahren, das zu sein, was wir sind: ein Land, in dem wir uns bedingungslos Anteilnahme schenken, insbesondere dort, wo Unrecht geschehen ist; indem wir zusammenstehen, wo Gewalt entbricht; indem wir beharrlich und stetig denen beistehen, die Gewalt erfahren müssen. Der 20. Dezember wird immer ein Tag des Gedenkens und der Erinnerung bleiben, weil uns jedes einzelne Menschenleben als das Höchste und Wertvollste gilt. Mögen wir heute alle in diesem Gedenken Zuspruch und ein friedliches Miteinander finden – besonders zum bevorstehenden Weihnachtsfest.
Das Video startet an der betreffenden Stelle:
Verfasser: АИИ und Michael Thurm | 21.12.2025
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